Essays
Hier finden sich ausgewählte Diskussionsbeiträge zur digitalen Transformation im Journalismus, zu Medienförderung und allgemeinen medienökonomischen Zusammenhängen.
Generative KI und das Problem der Kostenkrankheit im investigativen Journalismus (04.06.2024)
Einleitung
Journalismus hat eine herausragende Bedeutung für demokratische Gesellschaften. Er erfüllt eine Vielzahl von wichtigen Funktionen, darunter die Bereitstellung von Informationen, die Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung, die Ausübung von Kontrolle und Kritik sowie die Förderung von Bildung (Blumler & Gurevitch, 1990; McQuail, 1992).
Insbesondere im Bereich der Kontrolle und Kritik spielt der investigative Journalismus eine entscheidende Rolle und wird oft als "Watch Dog" oder „Vierte Gewalt“ bezeichnet (Houston, 2010). Investigativer Journalismus beinhaltet das eigenständige Recherchieren und Berichten über Themen von öffentlicher Bedeutung, oft gegen den Wunsch der betroffenen Akteure, diese Informationen geheim zu halten (Weinberg, 1996). Investigativer Journalismus ist dabei mit hohen Kosten, erheblichen Risiken, langwierigen Rechercheprozessen, hoher Ergebnisunsicherheit und der Gefahr juristischer Auseinandersetzungen verbunden. Die wesentlichen Teile des investigativen Rechercheprozesses sind von Projekt zu Projekt unterschiedlich und damit hoch-spezifisch. Er ist in hohem Maße von hochqualifizierten menschlichen Arbeitskräften abhängig (Houston, 2010; Hamilton, 2016) und in vielen Teile von nicht-automatisierbaren Tätigkeiten abhängig.
Die wirtschaftliche Situation des Journalismus im Allgemeinen hat sich in den letzten Jahren aufgrund der Digitalisierung drastisch verändert. Die private Nachfrage nach Journalismus war immer schon geringer als der soziale Nutzen, der aus journalistischer Aktivität entsteht (Heinrich, 2013; Pickard, 2020). In der Vergangenheit wurde dieses Problem durch die Querfinanzierung der journalistischen Tätigkeit durch Anzeigenerlöse bewältigt oder zumindest in Teilen „überdeckt“ (Napoli, 2020; Wellbrock, 2020). Die Digitalisierung hat jedoch zu einer Entkopplung von Rubrikenanzeigen vom Journalismus, zu einer Inflation der Werberäume und -preise sowie zu vermehrten Ausweichmöglichkeiten für Konsumenten geführt (Prior, 2007). Sie hat auch aufgrund geringerer Markteintrittsbarrieren und der Konvergenz von Vertriebswegen und Endgeräten die Wettbewerbsintensität in allen Bereichen der Massenkommunikation erhöht, darunter Werbung, PR, Journalismus und Unterhaltung. Zudem sind die zeitlichen Monetarisierungsfenster für neu recherchierte Informationen aufgrund fehlender Eigentumsrechte kürzer geworden (Choi & Yang, 2021).
Künstliche Intelligenz (KI), insbesondere generative KI, hat das Potenzial, die Produktivität in vielen Wirtschaftssektoren zu steigern, einschließlich der Massenkommunikation und damit potentiell zu einer verbesserten wirtschaftlichen Situation beizutragen. Generative KI-Modelle sind darauf ausgelegt, die zugrundeliegenden Muster und Strukturen von Daten zu erlernen und neue Datenpunkte zu generieren, die plausiblerweise Teil des ursprünglichen Datensatzes sein könnten (Pinaya et al., 2023). Dies eröffnet Chancen auch für den investigativen Journalismus, indem es die Möglichkeit bietet, den Recherche- und Berichterstattungsprozess effizienter und kostengünstiger zu gestalten (Hamilton, 2016).
Angesichts dieser Entwicklungen erscheint es folgerichtig, dass der Einsatz generativer KI zu einer Verbesserung der wirtschaftlichen Situation des investigativen Journalismus führen kann.
Allerdings ist die Schlussfolgerung keineswegs trivial, da für den investigativen Journalismus eine Herausforderung in Form der sogenannten "Baumol'schen Kostenkrankheit" vorliegen könnte.
Baumolsche Kostenkrankheit
Die Baumolsche Kostenkrankheit ist ein Konzept, das die ungleiche Verteilung von Produktivitätssteigerungen in verschiedenen Wirtschaftssektoren und deren Auswirkungen auf die Kostenstruktur und Wettbewerbsfähigkeit von Branchen untersucht (Baumol & Bowen, 1965; Baumol, 1967; Baumol, 2012). Dieses Phänomen hat weitreichende Implikationen für die Wirtschaft, die Wirtschaftspolitik und insbesondere für Sektoren, die stark von menschlicher Arbeitskraft abhängig sind.
Die Theorie der Baumolschen Kostenkrankheit basiert auf einer Reihe von Annahmen und Mechanismen, die die Entwicklung und Veränderung von Wirtschaftssektoren im Laufe der Zeit erklären. Ein zentraler Annahmepunkt der Baumolschen Kostenkrankheit ist, dass Wirtschaftssektoren über Löhne und Arbeitsbedingungen um Arbeitskräfte konkurrieren. Dieser Wettbewerb um Arbeitskräfte führt zu einer Anpassung der Löhne über die verschiedenen Branchen hinweg. Eine weitere Annahme ist, dass Löhne in der Regel Produktivitätssteigerungen folgen. Wenn die Produktivität in einer Branche steigt, werden die Arbeitskräfte effizienter, was die Grundlage für Lohnerhöhungen bildet.
Die Baumolsche Kostenkrankheit wird durch die ungleiche Verteilung von Produktivitätssteigerungen zwischen den Wirtschaftssektoren ausgelöst. Einige Sektoren, wie die Konsumgüterindustrie oder Kommunikations- und Informationssektor, haben in jüngerer Vergangenheit rasche und signifikante Produktivitätssteigerungen durch die Einführung neuer Technologien erlebt. In anderen Sektoren, wie etwa der Bildung, der Gesundheitsversorgung oder der darstellenden Künste, sind solche Steigerungen nur begrenzt möglich, da dort nur ein geringeres Potential an Automatisierung vorliegt.
Trotz der unterschiedlichen Produktivitätsentwicklung in den Sektoren werden die Löhne im Laufe der Zeit tendenziell gleichmäßig über alle Branchen hinweg angepasst. Arbeitnehmer in Sektoren mit geringen Produktivitätssteigerungen fordern und erhalten ähnliche Lohnerhöhungen wie Arbeitnehmer in produktiveren Sektoren oder sie verlassen perspektivisch den Sektor.
Da die Löhne in allen Branchen steigen, führt dies zu relativen Kostensteigerungen in Branchen mit geringerer Produktivitätssteigerung. Die gestiegenen Lohnkosten machen im Zeitverlauf einen größeren Teil der Gesamtkosten aus, ohne dass die Produktivität in gleicher Weise gesteigert wurde.
Branchen, die von der Baumolschen Kostenkrankheit betroffen sind, haben verschiedene Optionen, ihr Angebot aufrechtzuerhalten. Dies kann durch die Erhöhung der Kosten erreicht werden, beispielsweise durch Lohnerhöhungen, was zu höheren Preisen für ihre Dienstleistungen oder Produkte führt. Dies wiederum kann die Wettbewerbsfähigkeit beeinträchtigen.
In vielen Fällen versuchen betroffene Branchen, die gestiegenen Lohnkosten durch die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Beschäftigten auszugleichen. Dies kann zu Unzufriedenheit unter den Arbeitskräften führen und die Attraktivität dieser Branchen als Arbeitsplatz verringern.
Ein weiterer Ansatz zur Bewältigung der Baumolschen Kostenkrankheit ist die Reduzierung des Angebots in den betroffenen Sektoren. Dies kann eine Verringerung der Qualität oder Quantität der angebotenen Dienstleistungen oder Produkte bedeuten.
Die Baumolsche Kostenkrankheit ist in verschiedenen Studien empirisch gut belegt und manifestiert sich besonders deutlich in Arbeitssektoren, die durch nicht-routinemäßige menschliche Interaktionen oder Tätigkeiten geprägt sind, da diese in der Regel schlechter automatisierbar sind und damit ein geringeres Produktivitätssteigerungspotential aufweisen. Einige der Branchen, die von diesem
Es fällt auf, dass die meisten der von der Baumolschen Kostenkrankheit stark betroffenen Branchen in den Bereich der "öffentlichen Güter" oder "öffentlichen Dienstleistungen" fallen, wie etwa Bildung, Gesundheitswesen und darstellende Künste. Dies wirft die Frage auf, ob auch der Journalismus, insbesondere der investigative Journalismus, von ähnlichen Problemen betroffen sein könnte. Der investigative Journalismus weist dahingehend Gemeinsamkeiten mit den oben genannten Branchen auf, als dass er in hohem Maße durch nicht-routinemäßige menschliche Recherche und Analyse geprägt ist.
Kostenkrankheit im Journalismus
In der Massenkommunikation sind Produktivitätssteigerungen, die durch den Einsatz künstlicher Intelligenz (KI) erzielt werden, von großer Bedeutung. KI-Technologien ermöglichen unter anderem Automatisierung in Recherche- und Produktionsprozessen sowie automatisierte Personalisierung in der Distribution. Dies kann die Analyse von Daten, die Erstellung von Inhalten, die Ausspielung von Inhalten und die Bereitstellung von Dienstleistungen umfassen. Allerdings fallen diese Produktivitätssteigerungen wahrscheinlich nicht in allen Teilbereichen der Massenkommunikation gleichermaßen hoch aus.
Um die Auswirkungen der Baumol‘schen Kostenkrankheit auf die Massenkommunikation zu verstehen, ist es hilfreich, zwischen vier grundlegende Typen der Massenkommunikation zu unterscheiden (Beck, 2015; Christians et al., 2020; Hanitzsch, 2007; Schmidt, 2023; Splichal & Dahlgren, 2016):
1. Werbung: Dieser Bereich umfasst die Erstellung und Verbreitung von Werbebotschaften und Marketingkampagnen. Hier können Produktivitätssteigerungen durch datengesteuerte Targeting-Algorithmen und Automatisierung der Inhalteerstellung erheblich sein.
2. Public Relations (PR) beinhaltet die Pflege von Beziehungen zwischen Organisationen und der Öffentlichkeit. Auch hier können KI-Tools dazu beitragen, den Kommunikationsprozess zu rationalisieren, etwa durch Medienmonitoring und Social-Media-Analyse, insbesondere kann generative KI aber auch die Inhalteerstellung in Teilen automatisieren.
3. Unterhaltung: Dieser Bereich umfasst Medieninhalte wie Filme, Musik, Spiele und Unterhaltungsprogramme. Auch hier können Produktivitätssteigerungen durch KI in der Produktion und Distribution realisiert werden.
4. Journalismus: Der Journalismus kann in drei Hauptkategorien unterteilt werden: berichtend, kommentierend und investigativ. Im Bereich des rein berichtenden Journalismus wird generative KI bereits erfolgreich eingesetzt, etwa in der Berichterstattung über Finanzdaten und Sportergebnisse. Auch der kommentierende Journalismus wird durch generative KI produktiver werden. Ein Kommentar lässt sich mittlerweile durch Textgenerierungssoftware auf Basis von Argumentationsstichpunkten vorschreiben. Der investigative Journalismus aber, der sich stärker auf eigenständige Recherche und die komplexe Aufdeckung von Missständen konzentriert, ist besonders relevant für die Diskussion über die Baumol‘sche Kostenkrankheit.
Denn während Werbung, PR und Unterhaltung von den Effizienzsteigerungen der KI in hohem Maße profitieren können, ist der investigative Journalismus aufgrund seiner nicht-routinemäßigen menschlichen Recherche und Analyse weniger für durch KI initiierte Produktivitätssteigerungen geeignet.
Daher besteht die Herausforderung darin, wie der investigative Journalismus, der eine zentrale Rolle in der Demokratie spielt, finanziell nachhaltig aufrechterhalten werden kann, wenn die Löhne in anderen Branchen steigen, im investigativen Journalismus aber geringeren Produktivitätssteigerungen gegenübersteht. Dies stellt die initial positiven Produktivitätseffekte durch den Einsatz generativer KI in Frage.
Die Massenkommunikation ist durch hohe Wettbewerbsintensität geprägt. Dies resultiert unter anderem aus der Konvergenz von Kommunikationskanälen und Endgeräten. Traditionell getrennte Formen der Massenkommunikation wie Printmedien, Rundfunk, Online-Plattformen und soziale Medien konkurrieren nun auf denselben Kanälen und Endgeräten miteinander. Das bedeutet, dass auch die verschiedenen Formen der Massenkommunikation direkter miteinander in Konkurrenz stehen.
Darüber hinaus werden in den verschiedenen Sektoren der Massenkommunikation ähnliche Kompetenzen und Fähigkeiten der Mitarbeitenden nachgefragt. Arbeitskräfte können somit zügig zwischen den verschiedenen Formen der Massenkommunikation wechseln. Diese Flexibilität und Mobilität verstärkt den Wettbewerb und spricht für eine zügige Anpassung der Löhne zwischen den Sektoren.
Der Mechanismus noch einmal zusammengefasst: KI-Anwendungen, insbesondere die kürzlich in ihrer Anwendbarkeit sprunghaft verbesserten generativen KI-Anwendungen, werden den investigativen Journalismus produktiver machen. Doch entgegen der intuitiven Schlussfolgerung, dass dies gute Nachrichten für die wirtschaftliche Überlebensfähigkeit des Journalismus sind, könnte das Gegenteil der Fall sein. Nämlich wenn die Produktivitätssteigerungen in anderen Sektoren der Massenkommunikation, die in einem besonders intensiven Wettbewerb um Arbeitskräfte stehen, größer ausfallen als im Journalismus. Dann hat der Journalismus trotz eines absoluten Produktivitätsanstiegs einen relativen Kostennachteil, da sich die Löhne und Arbeitsbedingungen über die Sektoren hinweg anpassen und verbessern werden. Werbung, PR und Entertainment wird diese aber mit höheren Produktivitätssteigerung als im Journalismus besser kompensieren können.
Wenn der (investigative) Journalismus dennoch mithalten will, hat er im Wesentlichen drei Möglichkeiten. Ersten mittels einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen und einer Reduzierung der Löhne reduzieren im Vergleich zu den konkurrierenden Sektoren. Eine solche Strategie funktioniert tendenziell in Branchen, die von Arbeitskräften mit hoher intrinsischer Motivation geprägt sind und im Journalismus in den letzten Dekaden bereits zu beobachten gewesen ist. Eine zweite Möglichkeit ist die Reduktion des Angebots in Sachen Qualität und Quantität. Meist gehen diese beiden Strategien Hand in Hand: wer Kosten reduziert, muss häufig zumindest mittelfristig auch Qualitätseinbußen hinnehmen. Zuletzt können die Preise erhöht werden, um die relativ höheren Kosten im Vergleich zu anderen Branchen zu kompensieren.
Aus einer gesamtgesellschaftlichen Perspektive wären alle drei Strategien nicht wünschenswert, denn alle führen in letzter Konsequenz zu weniger und/oder qualitativ weniger wertiger journalistischer Aktivität und/oder geringerer Reichweite. Beides ist nicht im Sinne der Funktionen der Massenmedien in demokratischen Gesellschaften – es gäbe weniger Kontrolle und Kritik und die Gesellschaft wäre schlechter informiert.
Die zentrale These lautet also: Trotz absoluter Produktivitätssteigerung durch den Einsatz von KI im investigativen Journalismus, verliert der investigative Journalismus relativ gesehen zu anderen Massenkommunikationsformen an Produktivität und ist deshalb von der Baumol‘schen Kostenkrankheit bedroht.
Der investigative Journalismus wäre jedoch nicht die erste Branche, der von der Baumol‘schen Kostenkrankheit betroffen ist. Der Gesundheits-, der Bildungs- und der Kultursektor sind historische Beispiele für das Phänomen. Um diese gesellschaftlich relevanten Bereiche leitungsfähig zu halten, geben viele Gesellschaften einen über die Zeit steigenden Anteil des Bruttoinlandsproduktes für diese Bereiche aus. Dies ist aus einer volkswirtschaftlichen Perspektive weniger problematisch als es auf den ersten Blick erscheinen mag: “Stagnant-sector services will never become unaffordable to society. This is because the economy's constantly growing productivity simultaneously increases the community's overall purchasing power.“ (Baumol, 2012). Da der durch die Verfügbarkeit neuer und produktivitätssteigernder Technologien induzierte Anstieg an gesamtwirtschaftlicher Wertschöpfung immer größer ist als der relative Kostennachteil der stagnierenden Sektoren, ist es also eine Frage des Leisten-Wollens und nicht des Leisten-Könnens.
Konkret spricht dies für eine Subventionierung des investigativen Journalismus mit seinen unbestreitbaren positiven (externen) Effekte für die Volkwirtschaft.
Gleichzeitig besteht weiterer Forschungsbedarf um das konkrete Ausmaß der möglichen Kostenkrankheit im investigativen Journalismus besser einschätzen zu können. Insbesondere bietet es sich an, die verschiedenen Arbeitsschritte und Wertschöpfungsstufen sowohl im investigativen Journalismus (Schützeneder et al., 2024; Wilczek et al., 2024), als auch in den konkurrierenden Massenkommunikationsformen, systematisch nach dem Potential der Produktivitätssteigerungen durch generative KI zu analysieren. Dies könnte unter anderem dazu beitragen, evidenzbasiert zielgerichtete und damit effektive wirtschafts- und ordnungspolitische Instrumente als Antwort auf die Effekte der generativen KI auf die Leistungsfähigkeit des Journalismus als gesellschaftliche Institution zu entwickeln.
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Vier Säulen für den Journalismus - Grundlegende Ansätze zur Förderung der digitalen Transformation im Journalismus (22.09.2021)
Die sogenannte Bundespresseförderung („Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens“) ist gescheitert und die Verlegerverbände wünschen nun eine Rückkehr zur ursprünglich einmal geplanten reinen Zustellförderung. Das Kernargument dafür: damit sich die Verlage digital transformieren und damit ihrer demokratischen Relevanz weiterhin nachkommen können, muss noch eine Zeitlang das traditionelle Printgeschäft finanziell gestützt werden, das sich zudem steigenden Distributionskosten ausgesetzt sieht. Darüber hinaus gelten gedruckte Zeitungen immer noch als wichtiges Medium zur Information der Öffentlichkeit, insbesondere im ländlichen Raum. Hier leben einerseits verhältnismäßig viele ältere und damit tendenziell printaffine Menschen, andererseits ist die digitale Infrastruktur hier relativ schlecht ausgebaut.
Auf den ersten Blick scheinen dies nachvollziehbare Argumente zu sein, denn der demokratierelevante Journalismus steckt in einer Finanzierungskrise – zumindest im Vergleich zum analogen Zeitalter – und scheint kaum in der Lage zu sein, die digitale Transformation allein zu bewerkstelligen. Auflagen und Einnahmen aus Werbe- und Anzeigenerlösen für Zeitungen und Zeitschriften sinken teils dramatisch. Gleichzeitig scheinen Konsument*innen nicht bereit, für digitale Inhalte dasselbe zu bezahlen wie für gedruckte Inhalte (Berger et al. 2015; O’Brien et al. 2020).
Auf den zweiten Blick überzeugen die von der Verlagswirtschaft vorgebrachten Argumente allerdings nicht, denn weder die gescheiterte sogenannte Bundespresseförderung noch eine Zustellförderung setzen erkennbare Anreize, in die digitale Transformation zu investieren. Vielmehr incentivieren sie Mitnahmeeffekte, im schlimmsten Fall unterstützen sie sogar den Rückzug der Geförderten aus dem Journalismus. Zugleich diskriminieren sie gegen rein digitale Anbieter, die eben kein Papier bedrucken. Dies ist auch aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive nicht wünschenswert, denn gerade von diesen kleineren, häufig rein digitalen Medienorganisationen, geht das größere (disruptive) Innovationspotential aus (Wu et al., 2019). Die daraus folgenden wichtigen Impulse für die erfolgreiche digitale Transformation der Branche würden dementsprechend durch eine Vernachlässigung der kleinere Anbieter verschenkt.
Wie könnte nun der digitale Journalismus – und damit auch die digitale Transformation klassischer Verlage – sinnvoll gefördert werden? Ich schlage ein Konzept bestehend aus vier Säulen vor, die sich in angebotsseitige, infrastrukturelle und nachfrageseitige Maßnahmen einteilen lassen.
Säule 1: Angebotsförderung (Journalismusförderung i. e. S.)
Gerade in den letzten Monaten sind mehrere Gutachten zum Thema Journalismusförderung veröffentlicht worden (z. B. Cornils et al., 2021, Rolnik et al. 2019, Forum on Information & Democracy 2021, Buschow & Wellbrock, 2020). Aus juristischer Sicht ist dabei festzuhalten, dass staatliche Förderung für den Journalismus in Deutschland unter gewissen Voraussetzungen grundsätzlich verfassungskonform und damit möglich ist (Augsberg 2021, Cornils et al. 2021).
Inhaltlich wünschenswert wäre eine Förderung, die journalistische Qualität incentiviert und gleichzeitig staatsfern bleibt. Umsetzbar wäre dies beispielsweise durch eine wettbewerbsorientiere und selektive Förderung, die zwar durch die öffentliche Hand finanziert ist, die Vergabe der Mittel aber durch vom Staat möglichst unabhängige Institutionen geschieht. Dies könnte beispielsweise durch staatsferne, weisungsungebundene Expertenjurys (ähnlich der Wiener Medieninitiative), pluralistisch angelegte Gremien (wie im öffentlich-rechtlichen Rundfunk) oder durch Fachkollegien (wie in der Wissenschaftsförderung üblich) geschehen (Buschow & Wellbrock, 2020).
Funktionierende Beispiele aus dem europäischen Ausland, wie z. B. die Wiener Medieninitiative, existieren und könnten als Inspiration oder gar Benchmark für eine hiesige Förderung dienen.
Besonderes Augenmerk sollte dabei auf solche journalistischen Organisationen und Einzelpersonen gelegt werden, die ein hohes Innovationspotential aufweisen. Dieses sollte sich nicht nur auf journalistische Produktinnovationen und Prozessinnovationen beschränken, sondern explizit auch auf Geschäftsmodellinnovationen bei gleichzeitiger Wahrung der journalistischen Qualität. So erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass die Mittel nicht lediglich zur kurzfristigen Ergebnisverbesserung, sondern in strukturelle Veränderungen und Verbesserungen investiert werden, die im Nachgang (z. B. mittels Imitationen durch andere Marktteilnehmer) ins System diffundieren und dieses nachhaltig leistungsfähiger machen können.
Säule 2: Ein „digitales Pressegrosso“
Ein weiteres Problem für viele publizistisch tätigen Unternehmen stellt der digitale Zugang zum Publikum dar. Im klassischen Print und Rundfunk sind vielfaltsfördernde Strukturen eingezogen worden (wie das Presse-Grosso-System im Print oder Linzenzvergaben im Rundfunk), die es auch kleineren Publikationen ermöglichen, ihr Publikum zu erreichen und damit in den Markt einzutreten. Der Markt für digitale journalistische Inhalte ist auf der Distributionsstufe hingegen weitestgehend unreguliert. Die Marktteilnehmer sind damit den ursprünglichen Strukturen und Kräften dieses Marktes ausgesetzt. Da es auch im Digitalen – ähnlich wie in Print und Rundfunk – immense Größenvorteile und damit Konzentrationstendenzen speziell im Bereich der Distribution gibt (Hindman, 2018), wird der Zugang zum Publikum in wesentlichen Teilen von einigen wenige Akteuren – meist Technologieunternehmen wie Google und Facebook – kontrolliert. Da diese profitorientierten Unternehmen verständlicherweise einen Anreiz haben, den Publikumszugang höchstbietend zu verkaufen, hemmt dies die Potentiale der Medienvielfalt erheblich.
Kleinere Anbieter könnten dank der durch die Digitalisierung drastisch gesunkenen strukturellen Markteintrittsbarrieren im Produktionsbereich substanziell zur Angebotsvielfalt beitragen. Meist können sie es sich aber nicht leisten, große Grundreichweiten aufzubauen. Selbst wirtschaftlich patentere journalistische Medienunternehmen unterliegen einem strukturellen Nachteil, denn der Journalismus konkurriert gerade im Internet auch mit anderen Formen der Kommunikation (etwa politischer Kommunikation, strategischer Kommunikation und Werbung), die in der Regel deutlich größeren direkten Nutzen für die Kommunikatoren aufweisen und damit auch bezüglich der Refinanzierung einen Vorteil gegenüber journalistischer Kommunikation haben.
Eine Art Presse-Grosso wäre auch für den digitalen Journalismus denkbar, etwa in Form eines Co-Regulierungsregimes, in dem der Regulierer bestimmte Voraussetzungen formuliert, unter denen privatwirtschaftliche Unternehmen die Distribution digitaljournalistischer Inhalte übernehmen könnten und dafür staatliche Förderung erhalten würden. Wesentliche Voraussetzungen wären diskriminierungsfreier Zugang für Contentanbieter auf der einen Seite und Konsumenten auf der anderen Seite, demokratieförderliche Empfehlungssysteme sowie journalistische Qualitätssicherungsmechanismen (Wellbrock, 2020; Gostomzyk et al., 2021).
Diese Form der Infrastrukturförderung würde dazu beitragen den ökonomischen Wettbewerb auf der Distributionsstufe zugunsten des publizistischen Wettbewerbs auf der Produktionsstufe zu verschieben (Eisenegger, 2019) – und das, ohne dabei direkt in Inhalte einzugreifen.
Säule 3: Breitbandausbau
Auch die physische digitale Infrastruktur stellt noch immer ein Hemmnis für die Verbreitung und die wirtschaftliche Nachhaltigkeit des Journalismus dar. Zwar liegen noch weitere wirtschaftliche und soziale Argumente für eine zügige Verbesserung der digitalen Infrastruktur vor. Doch auch der digitale Journalismus ist auf verlässliche und leistungsstarke Verteilwege angewiesen. Häufig klagen die Verlage darüber, dass die Distribution gedruckter Publikationen insbesondere im ländlichen Raum immer teurer wird (Sievers et al., 2020). Doch anstatt auf eine Zustellförderung zu setzen, die letztendlich im Kern keine Anreize zur digitalen Transformation beinhalten würde, läge eine Förderung des Breitbandausbaus aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive eher auf der Hand. So würde die kostengünstige und fast grenzkostenlose digitale Zustellung journalistischer Inhalte insbesondere im ländlichen Raum teilweise erst ermöglicht – eine notwendige Bedingung dafür, auch weniger digitalaffine Rezipienten an digitale Produkte heranzuführen.
Säule 4: Nachfrageförderung (Konsumgutscheine und Medienkompetenz)
Nur wenn Bürger*innen in der Lage sind, qualitativ hochwertigen Journalismus zu erkennen (und von minderwertigen Inhalten zu unterscheiden), kann sich eine höhere Wertschätzung potentiell auch positiv in Bezahlabsicht und Zahlungsbereitschaften niederschlagen (Buschow & Wellbrock, 2019). Um dies zu erreichen, gilt es in die Medienkompetenz der Bevölkerung zu investieren.
Darüber hinaus könnte die Nachfrage direkt stimuliert werden, indem Gutscheine für den Konsum journalistischer Produkte vergeben werden (Rolnik et al., 2019: 34 ff.). Demnach bekämen Bürger*innen Gutscheine, und sie könnten frei darüber verfügen ob, und wenn ja, für welche journalistischen Angebote sie diese einsetzen möchten. Damit wird einerseits nicht direkt in Inhalte eingegriffen (Staatsferne), andererseits werden (digital)journalistische Inhalte gefördert. Außerdem besteht für journalistische Anbieter der Anreiz, publikumsorientiert zu agieren, gleichzeitig aber journalistische Standards zu erfüllen. Je höher die Medienkompetenz, desto wirkungsvoller wäre dieses Instrument der Nachfrageförderung in gesamtgesellschaftlicher Hinsicht. Um dieses Instrument effizient zu gestalten, wäre weitere Forschung zu den Zahlungsbereitschaften einzelner Bevölkerungsgruppen notwendig.
Fazit
In Summe erscheint mir dieses Maßnahmenpaket der vier Säulen erfolgsversprechend, um die gesellschaftlich wünschenswerte digitale Transformation des Journalismus voranzubringen. Im Bereich der Journalismusförderung (Säule 1) würden Innovationspotentiale gefördert, im Bereich der Infrastruktur (Säulen 2 und 3) Voraussetzungen dafür geschaffen, dass vielfältige journalistische Inhalte ihr Publikum erreichen können. Im Bereich der Nachfrageförderung (Säule 4) würden Bürger*innen sowohl kognitiv als auch materiell in die Lage versetzt, „gute“ von „schlechten“ Inhalten zu unterscheiden, diese zu konsumieren und damit auch zu deren Finanzierung beizutragen.
Literatur
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Erschienen als "Standpunkt" im Praxisforum der Zeitschrift MedienWirtschaft 3/2021.
Zur Zukunft der digitalen Distribution journalistischer Inhalte: Eine anbieterübergreifende Journalismusplattform der Verlage (22.06.2021)
User*innen im Digitalen möchten gerne aus verschiedenen Quellen informiert oder unterhalten werden und dementsprechend Zugriff auf Inhalte mehrerer Anbieter haben. Das ist nicht neu, im Bereich Musik und Film ist dies bereits Gang und Gäbe.
Aber auch in Bezug auf journalistische Inhalte ist eine anbieterübergreifende Plattformlösung mit Flatrate ganz oben auf der Präferenzliste. Das zeigen unter anderem quantitative Befragungsdaten und Ergebnisse aus Gruppendiskussionen, die Christopher Buschow und ich letztes Jahr veröffentlich haben.
Erste Versuche in diese Richtung sind bereits aus der Technologiebranche zu verzeichnen, etwa Apple News+ und Readly. Doch warum gibt es noch keine Initiative der Verlage eine gemeinsame anbieterübergreifende abonnementbasierte Plattform zu entwickeln?
Profitabel auch für Inhalteanbieter
Nicht nur aus Rezipientensicht, auch für die Anbieterseite kann es wirtschaftlich sinnvoll sein, eine kooperative Plattform für Bezahlinhalte anzubieten.
Bedingt ist dies insbesondere durch zwei Aspekte:
Erstens können durch große Bündel auch recht geringe Zahlungsbereitschaften für einzelne Content-Typen mit abgeschöpft werden. Wenn sich zum Beispiel eine Person eher für Kultur interessiert und nur geringfügig für Sport, dann kann es trotzdem sinnvoll sein, beide Inhalte in einem Bündel anzubieten, um so auch noch die niedrige Zahlungsbereitschaft für Sport mit abzuschöpfen.
Zweitens gleichen sich die Zahlungsbereitschaften zwischen den Konsumentinnen und Konsumenten bei großen Bündeln tendenziell an, wodurch mit nur einem oder wenigen verschiedenen Preispunkten große Teile der Zahlungsbereitschaft abgeschöpft werden können. Netflix und Spotify etwa folgen diesem Prinzip: wenn viele verschiedene Inhaltstypen (z.B. Romantic Comedies, Dokumentationen usw.) im Bündel enthalten sind, dann gleichen sich die unterschiedlichen Präferenzen für verschiedene Inhalte zwischen den Konsumenten durch die Bündelung tendenziell an. Anders ausgedrückt: wenn alles im Bündel enthalten ist, gibt es praktisch niemanden mehr, der/die alle im Bündel enthaltenen Inhalte super findet, es gibt aber auch niemanden mehr, der/die alle Inhalte komplett ablehnt. Es gibt eine Tendenz zur Mitte. Dieses Prinzip des „Vorhersagewerts des Bundlings“ basiert insofern auf dem Gesetz der großen Zahl.
Diese beiden Prinzipien gelten natürlich grundsätzlich unabhängig von der Distributionsform, also auch für Print, wo sie selbstverständlich auch Anwendung finden: eine Zeitung stellt im Endeffekt ja auch ein Bündelprodukt aus verschiedenen Inhaltstypen dar.
Weil in der Printwelt jeder zusätzlich zur Zeitung hinzugefügte Zeitungsteil Druckkosten für jeden Rezipienten verursacht, der die Zeitung erhält, ist irgendwann der Punkt erreicht, an dem die zusätzlichen Zahlungsbereitschaften für den zusätzlichen Zeitungsteil die zusätzlichen Kosten nicht mehr rechtfertigen können.
Im Digitalen kostet es hingegen nichts, einen bereits existierenden Inhalt dem Bündel hinzuzufügen. Insofern ist es auch aus Anbietersicht sinnvoll möglichst große, ggf. auch anbieterübergreifende, Bündel zu schnüren.
Eine anbieterübergreifende abonnementbasierte Plattformlösung kann also auch aus Anbietersicht profitabel sein, speziell für Regionalverlage, die meist regionale Monopole darstellen und damit kaum in direkter Konkurrenz zueinander stehen.
Ein Beispiel zur Illustration:
Stellen Sie sich vor, alle Regionalverlage würden Ihre Inhalte in einem Bündel zusammenfassen, d.h. eine Abonnentin des Kölner Stadtanzeigers hätte auch Zugriff auf die Inhalte der Rheinischen Post und des Hamburger Abendblatts. Dies würde ziemlich sicher eine höhere Nachfrage bzw. Zahlungsbereitschaft als bisher zur Folge haben. Zum Beispiel würden Menschen, die zwischen Düsseldorf und Köln pendeln und bisher nicht bereit waren zwei Abonnements abzuschließen, wahrscheinlich zumindest bereit sein ein paar Euro mehr auszugeben. Auch regionale Geschehnisse mit überregionaler Bedeutung wie z.B. der Bau der Elbphilharmonie könnten für Menschen aus anderen Regionen interessant sein. Die werden aber kaum ein Abonnement des Hamburger Abendblatts abschließen, wären aber vielleicht bereit ein bisschen mehr für das anbieterübergreifende Bündel zu bezahlen.
Oder vielleicht stammen Sie aus Dresden, leben mittlerweile in München und fahren gerne in den Urlaub nach Usedom. Da würden Sie sich vielleicht auch freuen und bereit sein ein bisschen mehr Geld auszugeben, wenn Sie bei der Sächsischen Zeitung oder der Ostseezeitung nicht an die Paywall stoßen würden.
All diese Inhalte werden ohnehin produziert und es würde – im Gegensatz zu Printprodukten – praktisch nichts kosten diese einem Bündel hinzuzufügen. Ihr gesamtes wirtschaftliches Potential wird also außerhalb eines anbieterübergreifenden Bündels nicht gehoben.
Was spricht dagegen?
Dabei kann eine anbieterübergreifende Plattformlösung zu den Konditionen einer Flatrate so ausgestaltet sein wie wir es von Spotify oder Netflix kennen, muss sie aber natürlich nicht.
Aus der Verlagsbranche hört man oft, dass durch eine anbieterübergreifende Plattform die Inhalte aus den Markenumfeldern der jeweiligen Anbieter gerissen würde, Eingriffe in die Content Managementsysteme notwendig seien und nicht zuletzt die direkte Kundenbeziehung aufgegeben werden müsste. Speziell letzteres sei eine rote Linie.
Dabei gibt es auch für diese Aspekte gut handhabbare technologische Lösungen. Beispielsweise indem sich Konsumentinnen und Konsumenten einmalig einloggen und dann durch die Paywalls verschiedener Anbieter durchgeleitet werden. Es handelte sich dabei also nicht um einen One-Stop-Shop, sondern vielmehr um eine Single-Sign-On-Lösung: Der Zugriff auf die Inhalte durch die Nutzer*innen bliebe also dezentral, die CMS müssten praktisch nicht angefasst werden.
Auch wird häufig angeführt, dass journalistische Inhalte im Gegensatz zu bspw. Musik typischerweise nicht wiederholt genutzt werden und zudem über die Zeit schnell an Wert verlieren. Das stimmt natürlich, stellt aber kein Argument gegen eine Plattformlösung dar, sondern erklärt vielmehr, weshalb es generell schwierig ist journalistische Inhalte zu monetarisieren.
Übrig bliebt im Wesentlichen der Aspekt, dass die Endkundenpreise nicht mehr anbieterindividuelll festgelegt werden können und somit ein Preiswettbewerb zwischen den Anbietern verhindert wird. Dies kann man sowohl als Verlust der Preishoheit verstehen, als auch als Anreiz zum Qualitätswettbewerb.
Zu guter Letzt stellt sich die Frage, wie ein vernünftiger Verteilmechanismus für die steigenden Einnahmen aussehen könnte. Wie wäre es zum Beispiel mit einem Mix aus folgenden Ansätzen?
Konsumentinnen und Konsumenten können über einen bestimmten Teil der Flatrate selbst entscheiden, welchen Anbietern dieser Teil ihrer Zahlung zukommen soll.
Ein Teil der Einnahmen wird nach dem Wohnsitz der nutzenden Person verteilt, um der Relevanz des Lokaljournalismus für die Funktionsfähigkeit der Demokratie vor Ort Rechnung zu tragen.
Ein Teil wird nach Nutzungsdauer und -intensität verteil.
(Das würde unter Umständen sogar einen stärkeren wirtschaftlichen Anreiz für investigative Recherche darstellen, da dann diejenigen, die den finanziellen Aufwand betrieben haben, mit höherer Wahrscheinlichkeit auch den Traffic abbekommen und nicht andere, zitierende bzw. kopierende, Anbieter. Denn wer durch die Flatrate bereits Zugang zur Primärquelle hat, steuert diese vermutlich eher an, als wenn diese Inhalte hinter einer Paywall lägen).
Sind es also vielleicht doch im Kern andere Gründe, die eine Kooperation der Verlage verhindern? Etwa die Angst zahlungskräftige Print-Abos durch ein anbieterübergreifendes digitales Angebot zu verlieren? Oder sind es schlicht unternehmens- und branchenkulturelle Gründe, die eine Kooperation zum Nutzen aller Beteiligten verhindern? Es könnte sich um ein klassisches Gefangenendilemma handeln: der/die Einzelne versucht für sich das Optimum herauszuholen und am Ende verlieren alle, weil sie nicht bereit sind zu kooperieren.
Zuerst erschienen im Blog der Hamburg Media School. Dort auch mit Hyperlinks im Text.
Zur Presseförderung: Wer fördern will, muss zählen (26.05.2021)
Spätestens seit Albert Einstein wissen wir: Nicht alles, was zählt, kann gezählt werden. Und nicht alles, was gezählt werden kann, zählt.
Eine naheliegende Interpretation dieses Satzes ist, dass die Dinge, die gezählt werden können, eine verhältnismäßig hohe Aufmerksamkeit bekommen gegenüber den Dingen, die nicht gezählt werden können. Daraus könnte man den Aufruf ableiten, nicht mehr zu zählen. Denn die wirklich wichtigen Dinge wie Liebe, Zufriedenheit und Glück lassen sich ja sowieso nicht zählen, oder? Die Tatsache, dass gezählt wird, wird sich allerdings nicht ändern. Insofern könnte man auch zu dem Schluss kommen, diejenigen Dinge, die zählen, so gut es geht zählbar zu machen.
Wir kennen das aus der Makroökonomik, in der das Bruttoinlandsprodukt (BIP) als zählbare Größe der Wirtschaftsleistung einer Volkswirtschaft zählt. Dabei stellt der Fall des BIP ein wunderbares Beispiel für den zweiten Teil des Einstein’schen Zitats dar: unter anderem, weil man es zählt, wird dem BIP eine hohe Relevanz und Wirkmacht nicht nur in der Wirtschaftspolitik zugeschrieben. Dabei ist das BIP natürlich lediglich eine imperfekte Operationalisierung der Wirtschaftsleistung: Häusliche Arbeit wird nicht mit eingerechnet und inwiefern eine erfasste Tätigkeit tatsächlich Nutzen stiftet, spielt ebenfalls keine Rolle. Zudem wird das BIP häufig missinterpretiert als Wohlstandsindikator. Gleichzeitig wird seit geraumer Zeit und mit zunehmender Intensität auch in westlichen Demokratien die Frage diskutiert, ob nicht eine Art „Bruttonationalglück“ (Gross National Happiness) ein besserer Indikator für die Funktionsfähigkeit der Volkswirtschaft sei. Während es lange Zeit als mehr oder weniger unmöglich galt, „Glück“ zu messen, wird dies mittlerweile kaum mehr bezweifelt.
Eine Parallele dazu gibt es in der Publizistik: Journalistische Qualität etwa wurde lange Zeit als praktisch nicht messbar betrachtet. „Qualität im Journalismus definieren zu wollen, gleicht dem Versuch, einen Pudding an die Wand zu nageln“ lautet ein bekanntes Zitat von Stephan Ruß-Mohl [1] . Passenderweise war es allerdings eben jener Stephan Ruß-Mohl selbst, der bezüglich dieser Thematik schon einige Jahre später eines Besseren belehrt war [2] . Man brauche zwar eine Menge Hirnschmalz, aber journalistische Qualitätskriterien seien grundsätzlich eben doch messbar. Gleichzeitig sorgen sich viele um die Zukunft des Journalismus im Digitalen. Dass er es wirtschaftlich deutlich schwerer hat als in der vordigitalen Ära, ist ein weitläufig anerkannter Befund. Auflagen und Anzeigenerlöse werden seit geraumer Zeit mit hoher Zuverlässigkeit gemessen und deren deutliche Rückgänge belegen diese Feststellung empirisch-quantitativ. Diesen Zahlen wird viel Aufmerksamkeit geschenkt, wenn es darum geht, den befürchteten Niedergang des Journalismus zu dokumentieren.
Zeitgleich darf nicht unterschätzt werden, dass wir über den tatsächlichen wirtschaftlichen Zustand vieler Verlage nur wenig wissen. Vermutlich geht es vielen finanziell sogar immer noch recht gut, wie etwa Frank Lobigs [3] und andere vor einigen Jahren noch diagnostiziert haben [4] . Doch wir wissen es nicht, denn eine Vielzahl an Verlagen meldet zwar zuverlässig auf freiwilliger Basis Auflagen und Anzeigenerlöse, über die allgemeine finanzielle Verfassung der Organisationen wird aber meist nur wenig preisgegeben.
Beides – die grundsätzliche Messbarkeit journalistischer Qualität und die finanzielle Lage der Verlage – bekommt eine besondere Bedeutung vor dem Hintergrund einer möglichen öffentlichen Förderung des Journalismus, wie sie zuletzt z. B. im Rahmen der als „Förderung der digitalen Transformation des Verlagswesens“ etikettierten erstmalig beschlossenen und dann doch vorerst gescheiterten Bundespresseförderung konkrete Formen angenommen hat.
Selbstverständlich kann man öffentlicher Förderung grundsätzlich aus ordnungspolitischen Gründen skeptisch gegenüberstehen oder speziell in Bezug auf den Journalismus aus Gründen der Staatsferne. Gleichzeitig erscheint es höchst fraglich, ob der Markt in der Lage sein wird, Journalismus in gesellschaftlich wünschenswertem (oder ökonomisch ausgedrückt: in allokationseffizientem) Maße im digitalen Zeitalter zur Verfügung zu stellen. Und eine Förderung des Journalismus durch große Technologieunternehmen ist sicherlich auch nicht der Weisheit letzter Schluss. So manifestieren diese Programme doch eher den Status Quo – also etablierte Marktmacht sowohl in den Bereichen Search, Social Media und Advertising als auch im Feld der Inhalteproduzenten – als dass sie die Institution Journalismus nachhaltig fördern würden.[5]
Wendet man sich also der Idee einer teilweisen gesamtgesellschaftlichen Finanzierung des Journalismus (unabhängig von der individuellen Nutzung) zu, dann stellt sich die Frage, nach welchen Kriterien dies geschehen sollte. Für eine zielgerichtete Förderung des Journalismus sind mindestens die folgenden drei Kriterien relevant.
Erstens: Leistung. Im gesamtgesellschaftlichen Sinne wäre dieses Kriterium in demokratischen Gesellschaften angelehnt an klassische demokratietheoretisch-normative Qualitätskriterien wie Aktualität, Richtigkeit und Relevanz. Mögliche Messansätze gehen dabei weit über die naheliegenden Inhaltsanalysen hinaus und könnten Experteneinschätzungen mittels Selbstregulierungsinstitutionen (wie den Presserat oder unabhängige Journalismuspreise) sowie Inputfaktoren (wie etwa fest angestellte Redakteure und Redakteurinnen) beinhalten. Meines Wissens nach zählt bisher auch niemand verlässlich, wie vielen Journalisten und Journalistinnen tatsächlich journalistisch – und nicht im Bereich PR – arbeiten. Auch eine Einbindung des Publikums und der Konsumenten und Konsumentinnen mittels Konsumgutscheinen für journalistische Produkte ist denkbar. Hier gilt es, Transparenz im Markt zu schaffen. Denn wer nicht zählt, kann auch nicht zielgerichtet fördern.
Zweitens: nach Bedürftigkeit. Es ist größtenteils unklar, welcher Anbieter, welches Medienunternehmen tatsächlich Bedarf an Förderung hat, um den nachhaltigen Fortbestand des publizistisch tätigen Teils des Unternehmens zu gewährleisten. Auch das Argument der temporären Aufrechterhaltung klassischer Erlösquellen (wie etwa Print), um die damit generierten Mittel in die digitale Transformation zu investieren, ist valide, allerdings wiederum mit einem Leistungsversprechen verknüpft. Auch hier gilt es, Transparenz im Markt zu schaffen. Denn wer nicht zählt, kann auch nicht zielgerichtet fördern.
Drittens, und hier handelt es sich weniger um ein Kriterium als vielmehr um eine notwendige Bedingung: Staatsferne. Es sollte Einigkeit darüber herrschen, dass der Staat nicht in Inhalte eingreifen darf.
Diesbezüglich mag die im Rahmen der Bundespresseförderung kommunizierte Auflagenhöhe als Verteilungskriterium ein auf den ersten Blick vielversprechender Ansatz sein. Allerspätestens auf den zweiten Blick liegt jedoch auf der Hand, dass die Menge an bedrucktem Papier weder ein passender Proxy für die journalistische Leistung noch für die Bedürftigkeit einer Organisation sein kann. Es gibt bessere Ansätze für eine auf Leistung und Fortbestand gerichtete Förderung, die gleichzeitig in einem hohen Maße staatsfern ist. Sie beruhen häufig auf dem Prinzip, dass Mittel nicht durch den Staat selbst, sondern über unabhängige Dritte und nach möglichst klaren und messbaren Kriterien vergeben werden. Mögliche Ansätze beinhalten Expertenkommissionen, Selbstregulierungsinstitutionen und Konsumentengutscheine.
Die Aussage ist klar: Wer gezielt und nicht nur nach Bauchgefühl oder Lobbydruck fördern will, der muss zählen. Und zwar das, was zählt. Dazu gehören journalistische Leistung und Bedürftigkeit. Zudem wissen wir auch immer noch zu wenig über elementare Branchenkennzahlen, wie etwa die Verkäufe von digitalen Angeboten hinter Bezahlschranken.
Hier ist die IVW bemüht, zu den E-PaperAuflagen weitere belastbare Zahlen zu generieren, wenn auch nur (ihrem Zweck entsprechend) für Angebote, die als Werbeträger dienen. Ihr Meldeverfahren für Paid Content deckt bisher nur für einen kleinen Teil des Gesamtmarkts ab. All dies würde nicht nur die Ex-Post-Evaluation etwaiger Fördermaßnahmen ermöglichen. Mehr Transparenz würde auch die Erforschung von Erfolgsbedingungen für digitalen Journalismus sowohl in der Praxis als auch in der Wissenschaft befeuern.
Ja, nicht alles, was zählt, kann gezählt werden. Qualität und Bedürftigkeit aber schon. Dann zählen sie auch mehr.
[1] Ruß-Mohl, S. (1992): Am eigenen Schopfe ... Qualitätssicherung im Journalismus – Grundfragen, Ansätze, Näherungsversuche. In: Publizistik, 37(1), S. 83-96.
[2] Held, B. & Ruß-Mohl, S. (2000): Bilanzierender Ausblick – Qualität durch Kommunikation. In: Held, B. & Ruß-Mohl, S. (Hrsg.): Qualität durch Kommunikation sichern, S. 361-376.
[3] Lobigs, Frank (2013): Qualitätsleistungen der Verlage nicht verkennen. In: MedienWirtschaft, 3, S. 64-66.
[4] Edge, M.; Chyi, H.; Kaufhold, K.; McKenney, M.; Claussen, D. (2020): Marking 40 Years of Newspaper Research Journal. In: Newspaper Research Journal, 41(1), S. 8-36.
[5] Pladson, K. (2021): Will Big Tech save journalism?, https://www.dw.com/en/will-big-tech-save-journalism/ a-56825927.
Erschienen im IVW Geschäftsbericht 2020/2021, S. 34ff.
Wie Digitalisierung und Corona endlich das Marktversagen im Journalismus offenbaren (27.04.2020)
Auf meiner allerersten wissenschaftlichen Konferenz - ich war gerade erst als Doktorand an der Universität Hamburg gestartet – hielt ich einen Vortrag zum Thema Marktversagen im Journalismus. Ich war schrecklich aufgeregt und mein Vortrag war ganz sicher keine Sternstunde der Wissenschaft. Zu diesem Vortrag gab es aber genau eine einzige Reaktion des Publikums: "Marktversagen? Das ist so 80er." lautete das professorale Feedback. Also quasi wie koksen, dachte ich mir.
Nun verhält es sich in letzter Zeit aber so, dass die 80er eine Renaissance erfahren. Die Musik war doch ganz cool, selbst der Modestil kehrt zurück.
Ähnlich ergeht es dem Thema Marktversagen und Journalismus. Victor Pickard, Professor an der University of Pennsylvania, hat kürzlich darüber geschrieben und Jay Hamilton (Standford University) veröffentlichte 2016 ein viel beachtetes Buch dazu.
Erst vor ein paar Tagen hat nun Phil Napoli (Duke University) im Wired Magazin ein Meinungsstück veröffentlicht, in dem er die These aufstellt, dass die Corona Krise das Marktversagen im Journalismus erst so richtig zum Vorschein bringt, oder - wie er es formuliert - illustriert.
Steigende Nachfrage – sinkende Erlöse
Der Aufhänger seiner Geschichte ist das paradoxe Phänomen, dass die Corona Krise zu einem spektakulären Anstieg der Nachfrage nach journalistischen Inhalten geführt hat, gleichzeitig die Einnahmen der Erzeuger dieser Inhalte aber in weiten Teilen regelrecht einbrechen - weit über den allgemeinen Trend hinaus.
Dieser Befund bezieht sich bei Napoli auf die USA, lässt sich aber in Deutschland genauso konstatieren. Die deutschen Verlage verzeichnen sprunghafte Anstiege bei den Zugriffszahlen auf ihre digitalen Angebote und auch die Old School Medien (sozusagen aus den 80ern) wie gedruckte Nachrichtenmedien und TV-Nachrichten erzielen plötzlich Traumreichweiten (fast wie in den 80ern).
Gleichzeitig gehen die Werbeerlöse drastisch zurück, sodass sich die Reichweiten über den Werbemarkt historisch schlecht monetarisieren lassen. Denn viele Werbetreibende geben bedingt durch die Krise plötzlich kein Geld mehr für Werbung aus, und Corona-Inhalte (die eben vermehrt nachgefragt werden) sind ohnehin verständlicherweise kein gutes Werbeumfeld - zu viele negative Assoziationen.
Die Folge: Verlage und Sender haben noch mehr zu kämpfen als ohnehin schon (SZ) und auch pure Onlineanbieter stehen unter zunehmendem Druck.
Die Demokratie leidet
Die Folgen für die demokratische Gesellschaft sind alarmierend. Denn dass eine Demokratie von einer funktionierenden Institution Journalismus profitiert, ist theoretisch wohlbekannt und empirisch gut belegt (Adsera und Kollegen 2009, Snyder & Strömberg 2008). Denn der Journalismus sorgt für eine informierte Gesellschaft, die dadurch bessere Entscheidungen treffen kann. Er kontrolliert die Mächtigen und entlarvt Desinformationen - eine Funktion, die in digitalen Zeiten mit ihren sozialen Netzwerken und geringen Markteintrittsbarrieren dramatisch an Relevanz gewonnen hat.
All diese Funktionen stellen in freien Märkten für die Nachrichtenerzeuger allerdings ein Problem dar, das in der Mikroökonomik unter dem Konzept der positiven Externalitäten bekannt ist . Das Konzept besagt, dass diejenigen, die nicht bereit sind für etwas zu bezahlen, nicht vom Nutzen dieser Sache ausgeschlossen werden können. Das begünstigt Trittbrettfahrerverhalten und im Fall des Journalismus bedeutet es, dass alle von ihm profitieren, auch diejenigen, die ihn nicht konsumieren oder nicht dafür bezahlen.
Im Ergebnis ist die private Nachfrage nach dem Gut Journalismus also geringer als der tatsächliche gesellschaftliche Nutzen. Dies führt dazu, dass der Journalismus weniger Ressourcen bekommt, als wohlfahrtstechnisch optimal wäre. Wirtschaftswissenschaftler bezeichnen dies als „ineffiziente Ressourcenallokation“. Das hat also nichts mit Normativität oder Paternalismus zu tun, es ist „harte“ Ökonomik. Im Endeffekt führt der Marktmechanismus zu einer Unterversorgung des Gutes: Ökonomen nennen das Marktversagen.[1]
Marktversagen gab es schon immer – jetzt ist es sichtbar
Das war natürlich immer schon der Fall, auch im 20. Jahrhundert, dem goldenen Zeitalter des Journalismus. Es fiel aber aufgrund einer glücklichen Fügung aber nicht so sehr ins Gewicht.
Diese glückliche Fügung bestand darin, dass die Tageszeitung die effizienteste Möglichkeit darstellte mit Werbebotschaften, Immobilienanzeigen oder Stellenausschreibungen Menschen zu erreichen. Mit dem Inhaltebündel „Tageszeitung“ ließ sich die erzielte Reichweite so gut monetarisieren, dass landauf landab Rendite über 20% erzielt wurden – teilweise bis in das aktuelle Jahrzehnt hinein.
Zuerst der Rundfunk und spätestens die Digitalisierung hat diese fast exklusive Allianz zwischen Journalismus und Werbung zu großen Teilen aufgebrochen und offenbart zudem die wahre Nachfrage nach journalistischen Inhalten. Denn dachte man Jahrzehnte lang, die Rubrikenanzeigen wären eine Zugabe zu den demokratierelevanten journalistischen Inhalten der Zeitung, war es doch wohl eher anders herum: der Politikteil kam mit den Rubrikenanzeigen, dem Lokalsport und dem Veranstaltungskalender.
Während das Fernsehen – und speziell das Privat- und Kabelfernsehen – den Konsumenten unterhaltende Ausweichmöglichkeiten zu informierenden Inhalten gab, die Konsumenten diese Möglichkeiten gerne nutzten und die Werbetreibenden diesen naturgemäß folgten, entriss die Digitalisierung dem Journalismus auch noch die Rubrikenanzeigen. Diese stehen nun mit eigenständigen digitalen Job- und Immobilienportalen unabhängig von journalistischen Inhalten.
Zudem brachte die Digitalisierung mit den schier unendlichen Weiten des Internets und niedrigen Markteintrittsbarrieren eine Fülle an neuen medialen Angeboten und damit ungeahnte Konkurrenz um Aufmerksamkeit. Die Folge: Medien bekommen für den Verkauf von Werberaum und -zeit nur noch „pennies on the dollar“: Reichweite ist auf dem digitalen Werbemarkt nur noch einen Bruchteil dessen wert, was in klassischen Medien damit verdient werden konnte.
Darüber hinaus lassen sich Inhalte im Digitalen viel schneller kopieren. Das hat den prinzipiellen Vorteil, dass sich Informationen schneller verbreiten und eine effizientere Kommunikation möglich ist. Eigentlich toll für die Demokratie.
Für diejenigen, die selbst teuer recherchierte Informationen auf den Markt bringen, bedeutet es aber, dass sich dieser Aufwand nicht mehr so stark in der Nachfrage niederschlägt. Denn Interessierte müssen nicht mehr Stunden oder Tage warten, bis auch andere Medien über einen frisch aufgedeckten (und wie gesagt teuer recherchierten) Sachverhalt berichten, die Nachricht ist mittlerweile Sekunden später überall kostenlos im Netz verfügbar – bei web.de, gmx, t-online, focus.de und so weiter. Das Zeitfenster für die kommerzielle Verwertung exklusiver Inhalte hat sich dramatisch verkürzt.
Es profitiert also nicht nur der Produzent solcher Inhalte von der entstandenen Nachfrage, sondern auch eine Vielzahl anderer, die mit dieser Information Reichweite erzielen und diese monetarisieren können - und das ohne den Produzenten für diesen Nutzen zu kompensieren. Das Ergebnis ist wieder: Trittbrettfahrerverhalten. Positive Externalitäten. Marktversagen. Unterversorgung mit Journalismus.
Der Rezipientenmarkt ist nicht genug
Es stellt sich nun die Frage, ob das anfangs konstatierte gestiegene Interesse an journalistischen Inhalten im Zuge der Coronakrise nicht in zahlende Kundschaft umgemünzt werden könnte. Hier gibt es ermutigende Beispiele, viele Verlage berichten seit Ausbruch der Corona Krise deutlich mehr Abschlüsse digitaler Abos. Sie können aber aller Wahrscheinlichkeit nach die Verluste aus dem Werbemarkt nicht annähernd kompensieren.
Dass einige Publisher wie Gruner+Jahr zudem ihre Paywalls in Corona-Zeiten fallen lassen, ist gesamtgesellschaftlich selbstverständlich lobenswert, der unmittelbaren direkten Monetarisierung der Inhalte aber natürlich wenig zuträglich.
Zumal das Corona-Thema – so wollen wir hoffen – irgendwann auch wieder an Relevanz verliert und es sich damit bei Lichte betrachtet ohnehin nur um ein temporäres Nachfragehoch handelt.
Und selbst wenn der Rezipientenmarkt den wegbrechenden Werbemarkt rein hypothetisch betrachtet auffangen könnte, es würde nicht reichen. Das für den Journalismus sterbende Geschäftsmodell der Werbefinanzierung offenbart lediglich das immer schon dagewesene, aber vormals gut verdeckte Marktversagen im Journalismus. Die private Nachfrage nach Journalismus wird immer deutlich hinter dem gesellschaftlichen Nutzen zurückbleiben und dies wird nun so offensichtlich wie nie zuvor. Die schicke Fassade der Werbefinanzierung ist abgetragen und das Elend dahinter freigelegt.
Der Journalismus braucht Hilfe
Der Journalismus braucht dringend gesellschaftliche Unterstützung um ökonomisch auf einem effizienten Niveau leisten zu können. Denn jeder profitiert davon - egal ob man selbst Journalismus konsumiert oder bezahlt.
Dabei darf es in erster Linie nicht darum gehen etablierte Verlage und TV- Sender zu retten. Die Marktbedingungen haben sich im Zuge der Digitalisierung so drastisch verändert, dass niemand weiß wie der optimale Markt für Journalismus in Zukunft konkret ausgestaltet sein wird.
Es muss vielmehr darum gehen die Institution Journalismus zu erhalten und adäquat auszustatten. Wie genau journalistische Aktivität in Zukunft organisiert wird, steht an zweiter Stelle und sollte nicht hoheitlich vorgegeben, sondern möglichst ergebnisoffen gehalten werden.
Wie kann Hilfe also aussehen ? Wie kann dem eingangs beschriebenen Marktversagen entgegengetreten werden?
1. Stärkung des ÖRR im Digitalen
2. Mehr Geld ins System, etwa durch direkte Subventionen, Journalismus-Gutscheine (ähnlich der Idee von Bildungsgutscheinen), Steuerzuschreibungen (über die Steuerzahler entscheiden können), Steuermittel (die über eine unabhängige Institution an Medienorganisationen weitervergeben werden, wie etwa die Corporation For Public Broadcasting in den USA), Stiftungen, Förderung einer Kultur der Philanthropie.
3. Eine Art „digitales Pressegrosso“ um die quasi-monopolistischen Strukturen auf der Distributionsstufe (Facebook, Google) aufzubrechen und publizistischen Wettbewerb zu ermöglichen.
4. Besteuerung der großen Plattformunternehmen (u.U. für die Nutzung von publizistischen Inhalten).
5. Start-Up- und Innovationsförderung im Journalismus.
Diese Liste ist nur exemplarisch, es wird aber auch schon einiges davon umgesetzt: Einerseits Maßnahmen, die eher auf den Erhalt des Status Quo und der Großen der Branche abzielen, wie das Leistungsschutzrecht und die Subventionierung der Zeitungszustellung. Andererseits aber auch Start-Up Förderung durch die öffentliche Hand (Media Lab Bayern, Journalismus Lab der LfM NRW) und das Bestreben Journalismus als gemeinnützig einzustufen, um damit Unterstützung durch Stiftungen zu vereinfachen.
Wenn man aber sieht, dass Google und Facebook heutzutage zu den größten Geldgeber in der Journalismusförderung zählen, dann kann die Konsequenz nur heißen: da muss mehr gehen, Demokratie. Wir sind nicht mehr in den 80ern. Vielleicht hilft Corona das zu erkennen.
[1] Dieser Zusammenhang ist eines der wichtigsten ökonomischen Argumente für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk (ÖRR). Denn wenn der Markt ein Gut nicht in ausreichendem Maße zur Verfügung stellen kann, dann könnte darauf mit einem gesellschaftlichen Angebot bzw. einer gesellschaftlichen Finanzierung geantwortet werden – wie es in weiten Teilen des öffentlichen Lebens der Fall ist: Schulen sind steuerfinanziert, die meisten Straßen Häfen und Flughäfen auch, Polizei und Feuerwehr sowieso. Menschen, die diesen Zusammenhang nicht ordentlich erklärt bekommen haben, sagen häufig Sätze wie "Warum sollte ich für etwas (den ÖRR) bezahlen, das ich gar nicht nutze." Weil du trotzdem davon profitierst. Wie bei Leuchttürmen und Autobahnen und Häfen und Schulen und insgesamt großen Teilen der öffentlichen Infrastruktur.
Erstveröffentlichung: “Wie Digitalisierung und Corona endlich das Marktversagen im Journalismus offenbaren” auf Horizont.net vom 27. April 2020; dieser Beitrag wurde auch in der Beitragsreihe “Zukunft des unabhängigen Journalismus” des Instituts für Journalistik der TU Dortmund veröffentlicht sowie auf den Seiten des European Journalism Obervatory.